Anja Koschemann hat ihren Beruf der Dildodesignerin selbst erfunden. Er vereint für sie in perfekter Weise Kreativität, Handwerk und Unabhängigkeit. Zu diesen 3 Punkten mischt sie täglich möglichst viele intensive Stunden mit ihren Herzensmenschen, nimmt Harfenunterricht, praktiziert YOGA, Feminismus und mag Elfen. Im Portrait erzählt sie, wie sie zu ihrem ungewöhnlichen Beruf gekommen ist und wie ihr Leben als Chefin heute ist.
Liebe Anja, wie kam es dazu, dass du dich selbstständig gemacht hast? Was war ausschlaggebend für deine Entscheidung?
In meiner 10-jährigen abhängigen Beschäftigung im Ingenieurbüro und Chemielabor (die ich sehr, sehr gern gemacht habe) stieß ich viele Male an die berühmte „gläserne Decke“ und es war irgendwann klar, dass es hier für mich nicht weitergehen wird.
Zudem vermissten mein Lebenspartner und ich – da wir uns beide beruflich stark engagierten – gemeinsame Zeit, gemeinsame Zukunftspläne und persönliche Nähe. Statt uns zu trennen, gab es verschiedene Überlegungen für gezielte Veränderungen. Selbständigkeit gefiel uns beiden. Wollen wir zusammen etwas aufbauen, um mehr intensive Zeit miteinander zu verbringen? Aber so eine richtige Knülleridee war nicht dabei.
Parallel zu diesen beruflichen Überlegungen schlug mein Partner für mehr inniges Paarleben unter anderem einen Versuch mit Sexspielzeug vor. Ich war ahnungslos und doch neugierig und recherchierte und konnte mich mit so gar keinem käuflichen Produkt anfreunden (vor 14 Jahren gab es längst nicht so viel fröhliche, unbedenkliche Vielfalt). Ungesunde Inhaltsstoffe, unästhetische Formen und seltsame Farben – da blieb nur: selbermachen!
Ich bin geschickt, ich kenne mich in der Chemie aus, ich hatte Lust auf das unerwartete Privatprojekt. Es gelang nach Monaten, meine Freundinnen wollten immer häufiger auch einen Gemüsedildo – ich bat sie, mir die Materialkosten zu erstatten… und von da war es nur ein kleiner Schritt zur Überlegung, ob die bunten, unkonventionellen, kreativen Toys nicht noch viel mehr Menschen mögen würden und es sogar ein tragfähiges Konzept wäre.
Schlüsselüberlegung zur Entscheidung war mein Wunsch an mich, als Rentnerin nicht zurückzublicken und mich zu fragen: „Was wäre, wenn ich mit 31 mutiger gewesen wäre?“ Ich gab mir ein Jahr und einen festen finanziellen Rahmen und grünes Licht für mein Abenteuer. Geld ist ein Werkzeug, um das eigene Leben zu gestalten und ich war sicher, nach einem Jahr locker wieder beruflich Fuß fassen zu können, falls ich scheitere. Das Risiko war also herzlich gering. Mit dieser Einschätzung habe ich mich ins kalte Wasser gestürzt und meine Entscheidung keinen Tag bereut.
Wie hast du den Start in dein eigenes Business finanziert?
Mein konkreter Plan und die Absprache mit meinem Lebenspartner für ein Kalenderjahr sah folgendermassen aus: Aus meinen eigenen Ersparnissen setze ich 10.000€ für Rohstoffe, Werkzeug, Miete usw. ein, für die ersten Monate habe ich den Gründungszuschuss des Arbeitsamtes zur Verfügung und mein Partner war bereit und in der Lage, unseren gemeinsamen Haushalt stärker zu finanzieren als die üblichen 50:50%. Für 12 Monate konnte ich also ohne Angst und Druck, aber mit vollem Elan ans Werk gehen. Danach wollten ich ein Resümee ziehen und entscheiden, ob ich die Selbständigkeit fortführe.
Inzwischen bin ich 13 Jahre mit meiner Manufaktur glücklich, der Sparstrumpf ist schon längst wieder aufgefüllt und aus dem verrückten Versuch ist ein stabiles Handwerksunternehmen mit MitarbeiterInnen geworden.
Verrate uns doch mal: Was macht dich und dein Business – abgesehen von deinem speziellen Handwerk – besonders?
Mein Sortiment besteht nur aus unkonventionellen Toys, für die ich einige Extras erfunden habe, die nicht im industriellen Herstellungsprozess möglich sind. Insofern schuf ich mit den Gemüsedildos aus dem „Garten Eden“ und dem magischen Farbwechsel der Toys bei Erwärmung eine Nische auf dem Markt, in der ich gut sichtbar bin und in der ich mich deutlich von anderen HerstellerInnen abgrenzen kann.
Gesundheitliche Unbedenklichkeit der Produkte, nachhaltiges Handwerk, Qualität, Made in EU, Vertrauenswürdigkeit, Liebe zum Tun usw. sind Merkmale, die von sehr vielen Menschen wertgeschätzt und erwünscht sind – das kann ich bieten und somit auch von meiner Arbeit leben.
Da jedes Toy hier im Hause und in Handarbeit entsteht, kann ich obendrein ganz persönliche Kundenwünsche umsetzen. Was ich am allerliebsten mache. Die Umsetzung der fantasievollen Bemalungen, Farbwünsche und viele andere Ideen der KundInnen sind und bleiben immer Chefinnensache.
Wie läuft es jetzt? Haben sich deine Erwartungen erfüllt? Und finanziell?
Es läuft prima. Ich bin glücklich. Die Erwartung von meiner Arbeit leben zu können, hat sich definitiv erfüllt. Als Dilodesignerin wird man nicht reich – aber das ist auch nicht mein Ziel. Ich möchte handwerken, erfinden, mein und das Leben meiner Lieblingsmenschen bereichern, frei agieren, Harfe spielen und im Sommer mit dem Fahrrad auf´s Festival nach Peenemünde fahren. Das alles ist drin und mehr brauche ich nicht.
Wo arbeitest du und wie sieht ein Arbeitstag bei dir aus?
Meine Manufaktur „SelfDelve“ befindet sich auf einem kleinen Gewerbehof im Herzen Dresdens. Hier habe ich sonnige Räume gemietet. Der größte Raum ist für die Produktion bestimmt, der nächstkleinere dient zum Pakete packen und als Lager für die fertigen Toys in ihren schmucken Weißblechdosen + Büro, Vorratslager, Teeküche. That´s it.
Am Morgen schauen wir in der Shopsoftware und den Mails und auf Amazon Handmade nach den Bestellungen (die meisten gehen abends und nachts ein), packen Pakete; die DHL holt sie täglich ab. Danach besprechen wir im Team die Produktion bei einem gemeinsamen Kaffee und legen los.
Ich habe weniger routinierte Abläufe als mein Team, denn ich bin ja die Chefin im dem Sinne, als dass ich die Verantwortung für Nachschub, Kundenkommunikation, Koordination, Buchhaltung, Sonderanfertigungen, Neuentwicklungen, Planung, Werbung, Netzwerken usw. habe. Ihr kennt das. Daher sind meine Arbeitstage recht bunt und abwechslungsreich.
Du hast keine eigenen Kinder, kümmerst dich aber sehr um deine Nichten und Neffen. Wie schaffst du es deine Selbstständig und Familie unter einen Hut zu bekommen?
Mit meinen Nichten, Neffen und Hausaufgabenkindern bin ich an festen Tagen exclusiv und intensiv verabredet und inzwischen schaffe ich es nahezu immer, an diesen Tagen pünktlich aus der Manufaktur zu gehen. Im November und Dezember haben wir so viel zu tun, dass ich Ausnahmen mache – aber dafür haben alle Freunde und Verwandten Verständnis, denn sie wünschen mir ja alle Erfolg und schöne Aufträge.
Am Wochenende bin ich nur noch selten in der Firma. Auch wenn immer etwas zu tun wäre und ich mein Silikonstübchen liebe – Pausen und Menschen und das „Draußen“ sind wichtiger, als ich lange Zeit dachte. Ich bin froh, dass ich das geändert habe.
Welche Eigenschaften sollte deiner Meinung nach eine Person haben, die selbstständig ist, oder sich selbstständig machen möchte?
Durchhaltevermögen, Disziplin, Leidenschaft, Beharrlichkeit, Geduld, Aufgeschlossenheit, Neugier, Selbsbewusstsein.
Was motiviert dich, immer weiter zu machen, auch wenn es mal Tiefs gibt?
Mein Leben und meine Arbeit sind einfach viel zu schön, als das mich ein Tief grundsätzlich demotivieren könnte. So ein Moment ist ja oft auch ein guter Indikator oder Impuls für kleinere Kurskorrekturen. Die gehören dazu und ich entscheide mich, die Störung nicht zu bekämpfen oder ihr mehr Raum zuzugestehen, als notwendig.
Wenn du auf deine Selbstständigkeit zurückschaust. Was würdest du heute anders machen?
Ich hätte manche Aufgabe eher an eine DienstleisterIn abgeben sollen, statt mich monatelang mit mittelprächtigem Ergebnis selbst daran zu versuchen. Aber auch diese Erkenntnis musste ich ja erst einmal gewinnen. Insofern konnte ich es nur so machen, wie ich es gemacht habe. Das Dilemma ist sicherlich, dass wir Selbständigen eher als Typ „Macherin“ gestrickt sind (sonst wären wir ja glücklich in einer abhängigen Beschäftigung) und immer denken „ich schaffe das“ / „ich kann das (lernen)“/ „das macht niemand gern, also sollte ich es selbst machen“ usw. . Zumindest bei mir war das so. Oder ich dachte, ich spare Geld durch Selbermachen. Gerade am Anfang, wenn es finanziell noch abenteuerlich läuft.
Irrtum.
In der Zeit, in der ich Werbemittel gebastelt (so sah es dann auch aus: unprofessionell), ungeschickt für den Mülleimer modelliert, Bilanzieren gelernt oder holperige Texte für den Blog verfasst, Fenster geputzt oder andere Dinge gemacht habe, die andere BESSER und SCHNELLER als ich können, hätte ich mich uneingeschränkt meiner Profession oder der Zukunftsentwicklung der Firma widmen sollen. Ich hätte Nerven und Zeit gespart, Geld verdient und damit Menschen Arbeit geben können. Und mehr Zeit mit meiner Familie und Freunden verbracht.
Inzwischen sind sämtliche Programmieraufgaben, Werbemittel (Entwurf und Druck), Texte für die Webseite, Übersetzungen, Modellentwicklung usw. in guten Händen und vor allem: ausgelagert! Die nächsten Arbeiten, die ich ausser Haus vergeben werde, sind die buchhalterischen. Klar, es braucht erst einmal Zeit, eine verlässlicheN PartnerIn für jede Aufgabe zu finden, aber es lohnt sich!
Was möchtest du anderen Gründerinnen und selbstständigen Frauen gerne mit auf den Weg geben?
Lasst euch nicht beirren, verwirren und bequatschen! Wieviel Zeit habe ich mit Nörglern, Schwätzern, unerbetenen Ratschlägen, Schaumschlägern, Pessimisten und anderen Zeitdieben verschwendet! Heute weise ich sie freundlich und bestimmt ab. Das war hartes Training.
Überlegt euch gut, vor wem ihr eure zarten Pläne und Anfangsüberlegungen ausbreitet und wen ihr um Rat fragt. Zu schnell verliert sich dein Ziel in fremden Meinungen. Denn die Verantwortung,die sich aus der Entscheidung ergibt, trägst letztlich immer nur DU. Niemand kennt deine Firma und deine persönlichen Wünsche und Grenzen so gut wie du. Nur wenn du dich mit einer Entscheidung wohlfühlst, wirst du sie erfolgreich umsetzen, verteidigen oder bewusst riskieren können. Also hüte deine Energie.
Konkrete Fragen können Fachfrauen und ~männer schnell und präzise beantworten. Nicht der Kumpel, nicht das Forum im Internet, nicht die Eltern.
Und zu guter Letzt:
Seid in allen Dingen großzügig zu euch selbst und euren Mitmenschen. Karma – you know. Es lebt und arbeitet sich auf diese Weise auch deutlich entspannter.
Ich wünsche einer jeden von euch gutes Gelingen, frohes Schaffen und gute Energie! Danke für´s Lesen.
Neugierig geworden? Mehr zu Anja Koschemann und ihrem Business findest du hier:
Webseite von Anja Koschemann
Anja Koschemann mit ihrem Unternehmen SelfDelve auf Facebook, Twitter, Instagram und Xing.
Fotos: Thomas Schmidt